Gedanken zu 173 Kathedralen für die Welt Translations Kontakt Impressum

"Skulpturen"


Dr. Gabriele Uelsberg


Kunsthistorikerin und Museumsdirektorin

Rezension in Apex Kunstmagazin für Ausstellung
Galerie Henn Maastricht/Holland 1990

„Kunst ist wie ein Spiel; nur im Zustand der Unschuld erfassen wir ihren tiefen Sinn und wer weiß, ob das nicht für alles Menschliche gilt.“
Dieser von dem spanischen Künstler Antoni Tapies formulierte Ausspruch trifft im besonderen Maße auf Mladen Kunstic zu.

Klangskulpturen
Kunstics frühe Skulpturen, seine sogenannten Kommunikativen-Kinetischen-Klangskulpturen laden den Betrachter zum Spiel ein. Man kann an Kurbeln drehen, Stäbe vibrieren lassen, Stahlbogen zum Schwingen bringen, auf Platten drehen oder mit Klöppeln gegen Eisenkörper hämmern. Die Klang- und Geräuschvielfalt, die dabei entsteht, ist maßgeblicher Bestandteil der Skulpturen. Es sind Bewegungs- und Klangskulpturen, die sich dreifach erschließen: in Form, in Bewegung, in ihrer Musik. „Bewegung ist Leben und jede Bewegung impliziert Klang. Leben ist Klang. Jedes Herz pocht, das Blut pulsiert und so hat selbst jeder Mensch seinen eigenen individuellen Klang“. Wie spezifischen Musikinstrumenten ist jeder einzelnen dieser Arbeiten einer eigenen Klangsprache zu eigen, eine persönliche Musikalität jenseits des klassischen Notensystems. Darüber hinaus besitzt jede dieser Skulpturen eine Eigendynamik, einen breiten Rahmen von Bewegungsvarianten, die vom Betrachter in Gang gesetzt werden. Es schwingt und wackelt, vibriert und schaukelt, und man selbst ist aufgerufen, alle gegebenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Der Betrachter wird zum Mitakteur, zum Partner der Skulptur und damit auch zum notwendigen Bestandteil dieser Kunst, denn ohne Partner bleiben die Skulpturen stumm und werden nicht aktiv. Die äußere Form der Skulpturen entspricht dabei ihrem jeweiligen Klangcharakter, so sind die wuchtigen Arbeiten laut und donnernd, die filigranen leise und zart, die schlichten einsilbig und beherrscht und die komplexen vielstimmig und ausschweifend. Diese Skulpturen Kunstics setzen sich aus Fundstücken (object trouvé) zusammen. Er sammelt metallene Gegenstände auf Schrottplätzen und entwickelt aus einem ganz privaten Dialog mit diesen Dingen neue Zusammenhänge, Geschichten und Formumdeutungen. Da soviel Persönliches in diese Skulpturen einfließt, entsteht der Eindruck, dass die eine oder andere Skulptur ein Eigenleben führt. Die monströse Plastik mit dem Titel „Für die Kinder“ mag in unbeachteten Momenten durchs Atelier wackeln. Ihr Töne zu entlocken ist anstrengend, verlangt den vollen Einsatz des Betrachters und belohnt ihn dafür mit einem infernalischen Getöse. Andere Skulpturen wieder klingen zart und verhalten wie Glockenspiele. Dünne Stahlstäbe, in kurzem Abstand nebeneinander stehend, vibrieren und klingen nach einer Berührung noch lange nach und fordern den Betrachter durch ihre Filigranität zum langen Verweilen auf. Ganz eins werden Betrachter und Skulptur bei der Arbeit „Der Dirigent“, die man gleichsam betreten kann und durch das eigene Gewicht und die Bewegung zum Instrumentarium eines kleinen Orchesters macht.

Federstahlskulpturen
In jüngster Zeit hat sich der Ausdruck von Kunstics Skulpturen verändert. Dies hängt in erster Linie von der Verwendung eines neuen Werkstoffs ab, den er nicht mehr auf den Halden der Schrottplätze findet. Es handelt sich hierbei um glänzende Federstahlbänder. Diese werden auf verschiedenste Art gestaltet. Zum einen spannt er sie bogenförmig und schraubt sie in regelmäßigen Abständen auf variierende Holzkerne, wodurch Negativformen entstehen. Es gelingt ihm auf diese Weise, mit Hilfe der Federstahlbänder gleichsam Skulpturen zu modellieren. Je nach der Länge dieser Bänder verändert sich bei den gespannten Bögen der Durchmesser, sodass Schwellungen, Einziehungen, konkave und konvexe Formen sich bilden. Auch bei diesen Arbeiten ist der Klang und die spezifische Musikalität der Skulpturen wichtig. Die Federstahlbänder besitzen einen ganz konkreten Klang, der auf Spannung beruht. Durch sanftes Anschlagen dieser „Saiten“ werden diese zur Vibration gebracht, wodurch Klang entsteht. Zum anderen befestigt er Reihen dieser Bänder von zum Teil unterschiedlich abgestufter Länge an gespannten Drahtseilen und lässt sie frei hängen. Bei diesen Installationen verursacht der Wind ein fast permanentes, klingendes Aneinanderstoßen. Die Möglichkeiten, die Kunstic nun im Umgang mit diesen Stahlbändern zur Verfügung stehen, in Kombination mit ihren Klangqualitäten, befähigen ihn, seine Skulpturen noch stärker nach formal-ästhetischen Kriterien aufzubauen. Verstärkt wird dies auch durch die Wirkung des Federstahls selbst, seinen Glanz, die enge Reihung und durch die Negativformbildung der Bänder: eine nahezu optische Irritation die nun auch verstärkt das Licht mit in die Skulpturen einbezieht. So gewinnen die Skulpturen eine besondere Einheitlichkeit. Die früheren Skulpturen waren vor allem von der natürlichen Farbigkeit gebrauchten und rostigen Materials bestimmt. In den neuen Skulpturen findet sich eine neue und andere Farbigkeit, die auch kräftige Blau-, Rot- und Türkistöne beinhaltet.

Symbolische Objekte
Manche Gegenstände, die sich gerade in den neueren Skulpturen finden, besonders in den „Ikarus“- und „Holländische Landschaft I-III“ – Skulpturen, haben hier nahezu symbolische Bedeutung. Ein Beispiel dafür ist der Stuhl, der sich in immer neuen Variationen findet, mal nur als Relikt- in Verwendung von Stuhlbeinen, Lehnen oder Sitzflächen – mal in komplexer Form.

Wind – Installationen
Die Verknüpfung von Natur- Lebensphilosophie und Kunst im Werk dieses Künstlers wird in einer Serie von Arbeiten besonders deutlich, die er direkt in Verbindung zur Natur- zur Landschaft in diesem Fall – geschaffen hat. Große, an gespanntem Drahtseil frei hängende Federstahlband-Skulpturen, zwischen Bäume gehängt, wurden für Monate Bestandteil der Natur. So entstanden Windskulpturen, die allein durch die ständige Bewegung der Luft und die dadurch ursächliche Bewegung der Bänder und ihr Aneinanderstoßen Klänge hervorbrachten. Auch diese Skulpturen oxidieren, verändern so ihren Klang, ihre Farbigkeit und altern auf ganz natürliche Weise. Hier besteht kein Angebot mehr zu Handlungen des Betrachters, wohl eine Veranlassung zu meditativer Anschauung. Mladen Kunstics Kunstbegriff zielt darauf, Natur und Leben in seinen Arbeiten zu imaginieren und so über die Kunstreflexion zu einem Nachdenken über sich selbst und seine Umwelt, über das Wesen der Welt zu gelangen. Wichtig ist Kunstic der Prozesscharakter der Skulpturen selbst, wie auch die unterschiedlichen Prozesse zwischen seinen Skulpturen und den Rezipienten.


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